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Pseudo-Theodor-W.-Adorno-Zitat. |
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Vera Wollenberger / Lengsfeld (Bündnis 90/GRÜNE), Deutscher Bundestag, 8. Mai 1992; Pseudo-Adorno-Zitat. |
Das Zitat ist also ein Falschzitat, aber es ist doch nicht richtig, es als "frei erfunden" zu bezeichnen, da es als verkürzende Paraphrase einiger Gedanken Theodor W. Adornos zum Verhältnis von Tier und Mensch verstanden werden kann.
Adorno analysiert in der "Minima Moralia" unter dem Titel "Menschen sehen dich an" die Verwendung der Floskel, "es ist ja bloß ein Tier", mit der die Schmerzen von Tieren bagatellisiert und Tiere unter die gefühllosen Sachen eingereiht werden.
Diese Floskel wurde im Falschzitat mit dem berühmten Grundsatz der "Erziehung nach Auschwitz" Adornos, "daß Auschwitz nicht noch einmal sei", in Zusammenhang gebracht.
Theodor W. Adorno
1951- "Menschen sehen dich an. – Die Entrüstung über begangene Grausamkeiten wird um so geringer, je unähnlicher die Betroffenen den normalen Lesern sind, je brunetter, ‹schmutziger›, dagohafter. Das besagt über die Greuel selbst nicht weniger als über die Betrachter. Vielleicht ist der gesellschaftliche Schematismus bei der Wahrnehmung bei den Antisemiten so geartet, daß sie die Juden überhaupt nicht als Menschen sehen. Die stets wieder begegnende Aussage, Wilde, Schwarze, Japaner glichen Tieren, etwa Affen, enthält bereits den Schlüssel zum Pogrom. Über dessen Möglichkeit wird entschieden in dem Augenblick, in dem das Auge eines tödlich verwundeten Tiers den Menschen trifft. Der Trotz, mit dem er dieses Bild von sich schiebt – ‹es ist ja bloß ein Tier› –, wiederholt sich unaufhaltsam in den Grausamkeiten an Menschen, in denen die Täter das ‹Nur ein Tier› immer wieder sich bestätigen müssen, weil sie es schon am Tier nie ganz glauben konnten. In der repressiven Gesellschaft ist der Begriff des Menschen selber eine Parodie der Ebenbildlichkeit. Es liegt im Mechanismus der ‹pathischen Projektion›, daß die Gewalthaber als Menschen nur ihr eigenes Spiegelbild wahrnehmen, anstatt das Menschliche gerade als das Verschiedene zurückzuspiegeln. Der Mord ist dann der Versuch, den Wahnsinn solcher falschen Wahrnehmung durch größeren Wahnsinn immer wieder in Vernunft zu verstellen: was nicht als Mensch gesehen wurde und doch Mensch ist, wird zum Ding gemacht, damit es durch keine Regung den manischen Blick mehr widerlegen kann."
Theodor W. Adorno: Minima Moralia, 1951, 2004 S. 118 f.
1965
- "Einmal hast Du mir gesagt, ich empfände die Tiere wie Menschen, Du die Menschen wie Tiere. Etwas ist daran."
Theodor W. Adorno: Offener Geburtstagsbrief an Horkheimer, 1965 zeit.de/1965/07/offener-brief-an-max-horkheimer
- "Die Forderung, daß Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen voran, daß ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen. Ich kann nicht verstehen, daß man mit ihr bis heute so wenig sich abgegeben hat."
Theodor W. Adorno: "Erziehung nach Auschwitz", 1966, 1993 (Link)
- "Die ethische Würde bei Kant ist eine Differenzbestimmung. Sie richtet sich gegen die Tiere. Sie nimmt tendenziell den Menschen von der Schöpfung aus und damit droht ihre Humanität unablässig in Inhumanität umzuschlagen. Fürs Mitleid läßt sie keinen Raum. Nichts ist dem Kantianer verhaßter als die Erinnerung an die Tierähnlichkeit des Menschen. Deren Tabuierung ist allemal im Spiel, wenn der Idealist auf den Materialisten schimpft. Die Tiere spielen fürs idealistische System virtuell die gleiche Rolle wie die Juden fürs faschistische."
Theodor W. Adorno: "Ad Beethoven", 1967?, 1993, S. 123-124 (fragment 202)
Varianten des Pseudo-Adorno-Zitats:
- "Auschwitz beginnt, wenn wir sagen: es sind ja nur Tiere."
- "Auschwitz fängt da an, wo einer steht und denkt, es sind ja nur Tiere.
- "Auschwitz beginnt da, wo einer im Schlachthaus steht und denkt, es sind ja nur Tiere."
- "Auschwitz fängt da an, wo einer im Schlachthof steht und sagt, es sind ja nur Tiere"
- "Auschwitz begins wherever someone looks at a slaughterhouse and thinks: they're only animals."
- "Auschwitz begins whenever someone looks at a slaughterhouse and thinks: They are only animals."
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Pseudo-Adorno quote. |
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Quellen:
Theodor W. Adorno: "Beethoven, Philosophie der Musik, Fragmente und Texte, Rolf Tiedemenn , Frankfurt, Suhrkamp: 1993, S. 123-124 (fragment 202)
Theodor W. Adorno: Minima Moralia, 1951, 2004 S. 118 f.
Theodor W. Adorno: Offener Geburtstagsbrief an Horkheimer, 1965 zeit.de/1965/07/offener-brief-an-max-horkheimer
Theodor W. Adorno: "Erziehung nach Auschwitz", 1966, 1993 (Link)
Abgeordnete Vera Wollenberger (Bündnis 90/GRÜNE), Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll - 12. Wahlperiode - 92. Sitzung, 8. Mai 1992, Bonn: 1992, S. 7553 (Link)Marcel Sebastian, Julia Gutjahr: "Das Mensch-Tier-Verhältnis der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule" in: Gesellschaft und Tiere: Soziologische Analysen zu einem ambivalenten Verhältnis herausgegeben von Birgit Pfau-Effinger, Sonja Buschka, S. 97ff.; S. 104 Anmerkung (Link)
Spiegelredaktion: "Kampagnen - Ein Krieg für Tiere", DER SPIEGEL 12/2004, 15. März 2004 (Link)
Gustav Seibt: "Die Holocaust-Plakate von Peta - Vegetarische Moral", Süddeutsche Zeitung, 19. Mai 2010 (Link)
h-net.msu.edu
Horkheimer: books.google
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Dank:
Ich danke Julia Gutjahr und Marcel Sebastian für ihre profunde Analyse: "Das Mensch-Tier-Verhältnis der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule".
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Artikel in Arbeit.
- "Das Vivisektionslabor ist ein Übungsfeld für die Todeslager. Der Impuls totalitärer Sadisten, ihre künftigen Opfer als Mitglieder fremder Rassen zu etikettieren, war dadurch motiviert, daß Rasse als eine natürliche statt soziale Kategorie galt."
Horkheimer an Red N. Healey 22. März 1945